Die Mais-Omi von Igoumenitsa

Maria und die Maisoma ▶︎ zwei Frauen und ein Kind am Grillstand I GREEKCUISINEmagazine

Am Straßenrand von Igoumenitsa

Am Straßenrand: Eine alte Dame. Weiße Mütze, weiße Schürze, darunter ein Hemd mit Blumenmuster, eine kurze Hose, an den Füßen Sandalen. Sie mag 60 Jahre alt sein, so genau weiß man es nicht. Nur, dass sie hier schon seit Jahren steht. Jeden Tag, seit 30 Jahren, womöglich schon seit den 1980er Jahren, wie manche sagen.

Die alte Dame spricht nicht viel, denn sie ist konzentriert. Auf dem einfachen Grill wendet sie gerade die Maiskolben, die sie gleich an Spaziergänger verkauft. Gegrillte Maiskolben gehören in Griechenland zur Esskultur. Üblicherweise werden sie mit etwas Salz gewürzt verzehrt. Oft gehen die Menschen am späten Nachmittag oder abends nach dem Abendessen spazieren, nicht selten belohnt man sich dabei mit einem kleinen Snack – einem gegrillten Maiskolben.

Maisoma ▶︎ konzentrierte Dame beim Maiskolben grillen I GREEKCUISINEmagazine
Frau mit ihrer Enkelin ▶︎ stehen nah beianander am Grill I GREEKCUISINEmagazine

Küstenstadt Igoumenitsa

Diese kulinarische Tradition pflegen natürlich auch die Einwohner von Igoumenitsa in der Region Epirus, 480 Kilometer nordwestlich von Athen entfernt, 26.000 Einwohner, direkt am Ionischen Meer gelegen, Fährhafen. Ein noch nicht von Touristen überlaufener Ort dennoch gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten und Ausflugsmöglichkeiten, warmes gemäßigtes Klima, Jahresdurchschnittstemperatur 16 Grad.

Igoumenitsa ▶︎ Stadt in Griechenland mit Fährhafen I GREEKCUISINEmagazine

Sommerliche Nachmittagssonne

Gutes Wetter also, und so steht auch an diesem Tag in der spätsommerlichen Nachmittagssonne die „Mais-Omi“, wie man sie hier liebevoll nennt, wieder mit ihrem Grill am Straßenrand und wartet auf Kundschaft, die meist nicht lange auf sich warten lässt. Morgens erst haben ihr Mann und sie den Mais frisch vom Feld geerntet und dann mit ihrem dunkelblauen T2-Bulli ins 16 Kilometer entfernte Igoumenitsa gebracht, berichtet der Mann. In Asproklissi, ein Dorf, das etwas mehr als 20 Kilometer weiter nördlich liegt, besitzen beide ein Stück Land, auf dem sie den Zuckermais selbst anbauen. Ernten, dann sorgfältiges entfernen der Blätter sowie säubern ist Aufgabe des Mannes, die Frau grillt.

Blauer VW Bulli ▶︎ Ein Auto mit Maiskolben beladen I GREEKCUISINEmagazine
Maisfeld ▶︎ Gelbe Maiskolben I GREEKCUISINEmagazine

Der gegrillte Maiskolben

Nach Möglichkeit legt man dafür frische Kolben aufs Rost, idealerweise ein bis maximal zwei Tage nach der Ernte sollte das geschehen, dann schmeckt der Mais am saftigsten. Etwa eine halbe Stunde dauert es dann, bis die Kolben über der Kohle (sie darf nicht zu heiß sein) goldgelb und somit perfekt sind. Stetiges Wenden und Drehen sind Pflicht, sonst trocknet der Mais aus oder verbrennt gar, was bei einer solch leckeren Angelegenheit natürlich pure Verschwendung wäre. Damit er sich besser essen lässt, werden die Kolben vorher auf ein Stück Holz gespießt und dann zum Verzehr gereicht. Dazu gibt es eine Prise Salz – ein simples und doch unglaublich leckeres Vergnügen.

Frischer gegrillter Maiskolben ▶︎ gerösteter Mais I GREEKCUISINEmagazine

Der Mais ist in der ganzen Welt unterwegs

Mais an sich hat in der ganzen Welt und auch in der europäischen und somit auch der griechischen Küche eine lange Tradition. Schon vor 6.500 Jahren soll er laut den Geschichtsbüchern bereits in Südamerika kultiviert und in großen Mengen als Lebensmittel angebaut worden sein. Christoph Columbus und andere Seefahrer brachten ihn Mitte des 15. Jahrhunderts mit ihren Schiffen nach Portugal und Spanien, von wo aus er sich binnen 100 Jahren europaweit als eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel etablierte. Mais war in vielen europäischen Ländern über Jahrhunderte Volksnahrungsmittel Nummer 1 und so alltäglich, dass man sogar seinen südamerikanischen Ursprung vergaß. So erklärt sich auch, warum er in verschiedenen Ländern verschiedene Namen bekam: Türkisch-Korn, Welsches Korn, Kukuruz oder griechischer Weizen.

Im Laufe der Jahrhunderte hat der Mensch durch Kultivierung und Selektion verschiedene Sorten züchten können, zu den gängigsten in der Küche gehören der Hartmais für die Mehlherstellung, der sogenannte Popcornmais und der Zuckermais, auch Süßmais genannt. Wie der Name erahnen lässt, eignet sich letzterer besonders zum Verzehr, weil er sehr saftig ist und leicht süß schmeckt. Wissenschaftlich gesehen soll es sich beim Zuckermais um einen Gendefekt handeln. Die Umwandlung von Zucker aus der Photosynthese in speicherbare Stärke funktioniert hier nicht richtig, so dass der Zucker in den Körnern verbleibt. Daher der süßliche Geschmack.

Mais schmeckt nicht nur lecker, er gilt auch als relativ gesund. Er enthält die Mineralstoffe Kalium, Eisen, Magnesium und Kalzium, viele B-Vitamine und hochwertige Proteine. Etwa 90 Kilokalorien stecken in 100 Gramm Mais – im Vergleich zu anderem Gemüsen ist er also äußerst gehaltvoll.

Wer wird die nächste sein?

Doch zurück zur „Mais-Omi“ in Igoumenitsa. Wie immer um diese Tageszeit grillen gerade 20 Maiskolben auf dem Rost, es ist warm, nicht nur von der Sonne. Neben ihr steht jetzt eine jüngere Frau, ihre Enkelin. Sie schaut der alten Dame zu, wie sie die Maiskolben wendet. Wird sie die nächste sein, die diese lange Tradition fortsetzt?

Kulinarische Kindheitserinnerungen ▶︎ I GREEKCUISINEmagazine

Text & Bilder: Oliver Herold, The Greek Cuisine Magazine 2012, –

 

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