Nekromanteio am Ortsrand des Dorfes Mesopotamos
Das Nekromanteio am Ortsrand. Herrschten hier tatsächlich übernatürliche Kräfte – oder betrügerische Absichten? Waren womöglich gar Drogen im Spiel, um die perfide Täuschung perfekt zu machen? Oder stimmt er doch, der Mythos von Nekromanteion, dem „Orakel der Toten“, wo die Lebenden Kontakt zu den Verstorbenen aufnehmen konnten, um diese nach Rat zu fragen? Und ist jener geheimnisvolle Ort am Dorfrand von Mesopotamos in der Nähe des antiken Ephyra überhaupt das Nekromanteion aus der griechischen Mythologie, und warum wurde es erst 1958, fast zweitausend Jahre nach seiner Zerstörung, entdeckt? Doch der Reihe nach.
Die Unterwelt
Laut griechischer Mythologie gibt es zwei Totenreiche. Der Olymp, der ausschließlich den Göttern vorbehalten ist (es sind nur 12!) und das Hades, in das die „normalen Leute“ nach ihrem Tod übersetzen. Hades ist die Unterwelt, der Ort der Toten, benannt nach dem gleichnamigen Gott, der hier gemeinsam mit Erebos herrscht. Um ins Reich der Toten zu gelangen, muss man die Dienste des Fährmanns Charon in Anspruch nehmen.
Nur mit ihm ist es möglich, die Flüsse Styx, Acheron oder Kokytos sowie den Acherusischen See zu überqueren, die Grenzgewässer zwischen Ober- und Unterwelt. Einmal im Hades angekommen, gibt es natürlich kein Zurück mehr zu den Lebenden.So weit so gut. Allerdings sind die meisten Menschen in der Antike davon überzeugt, dass die unsterblichen Seelen der Toten die Zukunft sehen und Ratschläge erteilen können – und dass man, wolle man sich dies zu Nütze machen, sogar mit ihnen in Kontakt treten kann. Über „Umwege“, versteht sich.
Das Orakel der Toten
Ein solcher „Umweg“ soll das Nekromanteion gewesen sein, das „Orakel der Toten“, durch das man in den Hades hinabsteigen und mit den Toten sprechen konnte. Das Nekromanteion war das einzige Totenorakel in Griechenland und wird in Homers Buch „Odyssee“ im 8. Jahrhundert v. Chr detailiert beschrieben. Laut dem Epos suchte Odysseus in der Unterwelt nach dem toten Hellseher Tiresias, damit dieser ihm den Weg zurück nach Ithaka beschreiben konnte. Auch andere griechische Helden versuchten den Abstieg in den Hades, um sich Rat bei den Toten zu holen: Orpheus beispielsweise und Hercules. Klar, dass bei so viel Prominenz auch das normale Volk auf das Nekromanteion aufmerksam wird.
Kräuterrausch
Ratsuchende aus aller Welt, die sich von den Toten einen Blick in die Zukunft erhoffen, machen den Ort zu einem „touristischen Hotspot“ – oder Besser: Wallfahrtsort. Dort angekommen, nehmen sich die „Priester“ den Gläubigen an, doch nur, wenn diese auch genügend „Opfergaben“ zur Besänftigung der Götter mitführen. Honig zum Beispiel, Milch, Wein oder andere Geschenke. Danach müssen sich die Gäste in einem dunklen Raum mehrere Tage lang einer die Sinne trübenden „Kräuterbehandlung“ unterziehen. Betreut werden sie dabei von den Priestern, die sie immer wieder geschickt ausfragen, um so an möglichst viele persönliche Informationen zu gelangen. Schließlich werden die über Tage vom Kräuterrausch Benebelten in einen dunklen unterirdischen Gewölberaum geführt, wo die Priester mit allerlei Tricks und Finesse die gewünschten Toten imitieren. Das zuvor durch Vertrauen erschlichene Wissen hilft ihnen jetzt bei der Beantwortung der Fragen und für vermeintliche Ratschläge. Anschließend werden die Gläubigen durch ein Labyrinth wieder zurück in die Oberwelt geführt, wo sie ein Schweigegelübte über das hier Erlebte und Gesehen ablegen müssen. Wer dagegen verstößt, müsse mit dem Zorn und der Rache der Unterwelt rechnen. So zumindest heißt es in den Überlieferungen.
Sotirios Dakaris
Im Jahr 167 v. Chr ist der Spuk schließlich vorbei: Das Orakel wird von den Römern angezündet und zerstört; es existiert fortan lediglich als Mythologie. Bis 1958. Im antiken Ephyra finden unter der Leitung des griechischen Archäologen Sotiris Dakaris Ausgrabungen statt, weil dort zuvor mykänische Ruinen aus dem 14 Jahrhundert v. Chr entdeckt wurden. Das vermeintliche Totenorakel selbst wurde schließlich unter den Ruinen der im 18. Jahrhundert errichteten Kirche des Heiligen Johannes und eines Friedhofs entdeckt und zwischen 1958 und 1964 sowie zwischen 1976 und 1977 freigelegt. Zum Vorschein kamen eine bis dahin unbekannte Anlage mit einer Fläche von 62 mal 46 Meter sowie bis zu 3,35 Meter dicke Mauern, die einen 22 Quadratmeter großen unterirdischen Raum umschließen. Für Sotiris Dakaris ist dieser Ort das Zentrum des Totenorakels von Ephyra, das von Homer und Herodot erwähnt worden war, dessen genaue Lage aber bis dahin unbekannt gewesen war.
Dass es sich jedoch tatsächlich um das Nekromanteion handelt, bleibt bis heute unklar. Archäologen haben die meisten gefundenen Baureste auf das 3. und 4. Jahrhundert v. Chr datiert, deutlich älteres Funde wie Fragmente von Statuetten der Persephone aus Ton, die aus dem 7. Jahrhundert stammen, gab es aber nur einzeln. Mittlerweile gehen einige Forscher davon aus, dass es sich nicht um eine Kultstätte, sondern um einen befestigten Adelssitz aus hellenistischer Zeit handelt.
Bilder & Text: Maria Pliatsika, Oliver Herold
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